Meine heurige Studienreise hat mich nach Nepal zu den Himalaya Schamanen geführt.
Wir sind eine Gruppe von sieben Personen und haben das Glück, die Lebensweise der Schamanen dieser Region hautnah und authentisch miterleben zu dürfen. Die ersten Tage verbringe ich im Kathmandu Tal. Die drei ehemaligen Königstädte: Kathmandu, Patan und Bhaktapur sind zu einer Weltstadt von 3,5 Millionen Einwohnern zusammengewachsen. Eine pulsierende Großstadt, der es nicht gelingt, die gewaltige ursprüngliche spirituelle Energie, die dort seit langer Zeit vorherrscht, mit ihrer Moderne zu überlagern. Wir besuchen die Stupas, Tempel und Pagoden der Region und sind überwältigt von den vielen Eindrücken, die wir sammeln.
Endlich geht es nach Nargakot, einem Dorf auf ca. 2000 Höhenmeter, 30 km außerhalb von Kahtmandu. Hier leben die Tamang, eine Volksgruppe, die vor ca. 600 Jahren von Tibet nach Nepal ausgewandert ist und sich auf diesen Bergen niedergelassen hat. Wir lernen Santa, den Guru Schamanen, kennen. Ein Guru Schamane ist der bedeutendste Schamane in der Region. Er ist sehr angesehen und bildet auch die zukünftigen Schamanen aus. Santa hat ein sehr friedvolles Wesen -ein Gesicht wie ein Teddybär.
Das Wissen der Schamanen wird hier nur von Lehrer zum Schüler in mündlicher Form weitergegeben und geheim gehalten. Seit zig tausenden von Jahren wird diese Tradition in unveränderter Form so gelebt. Santa ist Analphabet, wie die meisten hier. Krishna, mein Freund und mein Partner in Nepal, hat in 20 Jahren Aufbauarbeit das Vertrauen von Santa und ca. 40 anderen Schamanen erlangt, was alleine der Grund dafür ist, warum wir hier sein dürfen und das Privileg genießen in diese uralte, durchgängige, archaische Tradition eintauchen zu dürfen. Derzeit gibt es noch ca. 700.000 Schamanen in Nepal. Der Fortschritt lässt sich aber auch hier nicht aufhalten. Die junge Generation will von alten Bräuchen und Traditionen wenig wissen. Sie wandert in die Stadt ab, interessiert sich für Kleidung und andere Statussymbole. Selbst die Söhne der beiden Guru Schamanen, die ich kennenlernen darf sind aus der traditionellen Linie ausgestiegen. Sie sitzen hier und fixieren die meiste Zeit ihr Smartphone. Es schaut nicht gut aus mit dem Nachwuchs, der die Traditionen weiterpflegt. Meiner Meinung nach, werden hier in spätestens 50 Jahren die Bräuche und Traditionen beinahe so in Vergessenheit geraten, wie bei uns in Europa. Auch das ist vielleicht mit ein Grund, warum sich die Schamanen hier langsam Fremden gegenüber öffnen. Fremden, die echtes Interesse an Ihrem Wissen haben und bestrebt sind, dieses auch weiterzutragen.
Im Himalaya Schamanismus erfolgt Heilung fast ausschließlich über das Singen von Mantras. Santa hat monatelang in einer Höhle gelebt und mit seinem Lehrer gelernt, all diese Mantras richtig zu rezitieren und sie aufzuladen. Ein faszinierender Gesang, begleitet von Rhythmen auf einer hier typischen Rahmentrommel. Sie ist Rund, auf beiden Seiten mit einer Tierhaut bespannt und am unteren Ende befindet sich ein langer, spitzer Griff. Der Schlägel ist ganz dünn und S-förmig gebogen. Sie gibt einen feinen Klang beim Spielen von sich.
In den nächsten Tagen bekommen wir Unterricht von diesem liebevollen Mann. Wir dürfen in seine Tradition hineinschnuppern, lernen Mantras und viel aus seiner Weltsicht, seinen Göttern und Spirits. Zum Schluss zelebriert er eine Heilzeremonie mit uns. Ein zweiter Schamane kommt aus dem nächsten Dorf. Auch Verwandte und andere Dorfbewohner nehmen am Ritual teil. Wie sitzen in diesen Raum, der jetzt sehr gut gefüllt ist, am Boden. Ich habe die Ehre, mit den beiden Schamanen trommeln zu dürfen. Einige Stunden lang, bis wir in Trance sind. Die Geister sind nun alle da. Ein starkes Feld umgibt uns. Santa bläst mit einem Oberschenkelknochen von einem Tiger alle bösen Geister aus dem heiligen Raum. Wir haben zuvor alle ein Körperschutzmantra bekommen, das uns nun beschützt. Wir alle opfern Münzen, einen Fingernagel, ein Haar, einen Teil unserer Kleidung, verschiedene Getreidesorten. Es werden unsere Schicksalsfäden durchtrennt und die für uns destruktiven Planetenkonstellationen aufgelöst. Ein mächtiges Ritual…
Am nächsten Tag fahren wir in den Norden in Richtung tibetische Grenze und in die Nähe des Tempel Kalinchock, ein Pilgerort und Schamanentempel. Ganz abgeschieden von jeder Zivilisation schlagen wir unser Lager in einem kleinen Dorf auf. Wir dürfen hier am Ahnenfest zum April Vollmond teilnehmen. Der Höhepunkt unserer Reise.
Wir lernen Armin, den Guru Schamanen kennen. In der Nacht steigen wir zu seiner Hütte ab (wir befinden uns hoch in den Bergen). Eine Blechhütte, wie es hier sehr viele von ihnen gibt. Die Tür ist offen, darin sitzt diese kleine Person, 73 Jahre alt, in seiner schamanischen Tracht vor seinem Altar und rezitiert seine Mantras. Auf seinem Kopf trägt einen Schmuck aus Pfauenfedern. Diese symbolisieren den schamanischen Flug, die Reise. Über einem weißen Kleid, dass bis zum Boden reicht, schmücken seinen Körper zwei diagonal gebunden Ketten aus Glocken und in der Hand hält er seine Rahmentrommel. Am Bett nebenbei sitzt seine Frau in traditioneller Kleidung. Sie lächelt uns sehr freundlich an und bittet uns herein. Armin ist der stärkste Schamane weit und breit. Er verbindet sich in seinem Haus mit der geistigen Welt und trägt diese Kraft ins Dorf zum Ritualplatz.
Wir dürfen ihn dabei begleiten wie er singend und trommelnd ohne Lampe 700 Höhenmeter durch Finsternis zu diesem Dorf hinabsteigt. Am Weg stoßen noch andere Einheimische zu uns dazu. Alle sind traditionell gekleidet und schließen sich dem Gesang an. Wir erleben das Zusammentreffen mehrerer Schamanen, die sich tanzend begrüßen, aber auch ihre Kräfte messen. Wir sehen eine „Kapelle“, in der sich ein schamanischer Altar befindet, dessen Ausmaß ich hier kaum beschreiben kann. Eine Kraft, ein magisches Feld, in Worten nicht zu fassen. Trotzdem finde ich es sehr vertraut, ich fühle mich geborgen und zu Hause. Frauen sitzen in Gruppen im Freien und rezitieren stundenlang ein Lobesmantra. Immer die wenigen, gleichen Zeilen. Dieses Mantra trägt die Stimmung im Freien, während drinnen über den Ablauf der Zeremonie diskutiert wird. Es wird gesungen und einige beginnen in Trance zu fallen. Es gibt kaum Licht – nur die Kerzen beim Altar und ein wenig Beleuchtung bei den drei Essensständen draußen bringen eine leichten Schein. Wir sind die einzigen Fremden hier. Nicht mal Leute aus dem nächsten Tal sollen dabei sein. Ein wenig Unruhe entsteht deswegen in der Kapelle – Der Sohn des Guru, der uns begleitet, spricht so etwas wie Machtworte und es ist wieder still. Eine Stimmung, archaisch, magisch spirituell und sehr traditionell. Wir alle sind sehr dankbar und demütig…